Formil-Fusion
Inhalt
Dieses Thema ist auch relevant für:
Warum ist das wichtig?
- Die Fusion der beiden größten Magazingruppen vor mehr als zwei Jahrzehnten ist nicht mehr wirklich wichtig.
- Aber wie die Fusion 2001 gegen alle kartellrechtliche Logik, mit politischem Druck und falschen Behauptungen durchgeboxt wurde: Das ist ein Lehrbeispiel für die Arbeitsweise der vielfachen Mediengründer Wolfgang und Helmuth Fellner.
- Helmuth Fellner ist auch 2024 noch wirtschaftliches Mastermind im Hintergrund der Fellner-Mediengruppe um die Marken Österreich und Oe24. Sein Bruder Wolfgang ist noch Herausgeber und so etwas wie ein TV-Anchorman in der Gruppe.
- Deshalb erscheint mir die Formil-Fusion wesentlich für die Einschätzung eines Stücks österreichischer Medienentwicklung und zweier wesentlicher Protagonisten.
Die Formil-Fusion – und was sie zeigt
Die Magazin-Fusion war 2001 so etwas wie ein kartellrechtlicher Super-Gau der österreichischen Medienbranche: Die damals größte und die zweitgrößte Magazingruppe des Landes konnten ungehindert fusionieren. Und: Einer der Eigentümer des marktbeherrschenden Zeitungskonzerns konnte sich mit der Fusion an der nun noch größeren, dominierenden Magazingruppe beteiligen. Ergebnis: eine Art Doppelmonopol in zwei damals noch weit gewichtigeren Mediengattungen im kleinen Österreich.
Wie das – vorbei an existierenden Kartell- und Konzentrationsregeln – möglich war, zeige ich hier im Schnelldurchlauf. Es gelang mit Druck oder zumindest sehr starker Überzeugungskraft gegenüber Sozialpartnern im Kartellgericht, mit politischem Druck auf einen Justizminister, mit falschen Behauptungen und erfundenen Medienunternehmen und mit einem großen Schuss österreichischer Absurdität.
Magazinschlacht: Die Ausgangsposition
Die Brüder Wolfgang und Helmuth Fellner hatten ihre ersten Magazingründungen Rennbahn-Express und Basta dem Kurier verkauft und starteten 1992 mit dem deutschen Springer-Verlag das Wochenmagazin News. Mit einer Lawine von sehr lautem und schnellem Journalismus, als "gratis" beworbenen Abo-Beigaben vom Fernsehgerät bis zum Computer, mit Gewinnspielen, Billigpreisen und anderen Marketingtricks pushten sie News zum Marktführer und bedrängten die Kurier-Zeitschriften um Profil und Trend. MIt dem Nachrichtenmagazin Format griffen sie deren Flaggschiff Profil frontal an. Wieder mit ihrem vollen Marketingrepertoire, das Profil nun aber übernahm und ähnlcih zurückschlug. Das Ergebnis: massive Verluste auf beiden Seiten.
Die deutschen Eigentümer – damals Gruner+Jahr bei der Fellner-Gruppe und Funke Mediengruppe beim Kurier – drängten auf ein Ende der Magazinschlacht. Man einigte sichi auf eine Fusion des Marktführers mit der klaren Nummer zwei. Aber wie kann man einen Marktanteil von gut 60 Prozent durch ein Kartellverfahren bringen – wenn im Kartellrecht schon 30 Prozent als bedenkliche Schwelle gelten?
Wozu ein Kartellverfahren?
Amtsparteien im Kartellverfahren sind Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer. Beide verzichten auf Anträge, die Fusion vor ein Kartellgericht zu bringen. Der damalige Wirtschaftsminister verzichtet ebenfalls darauf – die Süddeutsche Zeitung berichtete damals vom Gerücht, er sei mit der Drohung, Privates öffentlich zu machen, vom Stillhalten überzeugt worden, falls das noch nötig gewesen sein sollte.
Kartellrichterin Regine Jesionek eröffnet ein Kartellverfahren von Amts wegen. Später erklärt sie das so: "ch habe von Anfang an Bedenken gegen die Fusion gehabt und deshalb vonAmts wegen das Prüfungsverfahren eingeleitet, da die Amtsparteien untätig geblieben sind."
Das getäuschte Kartellgericht
Die beiden heiratswilligen Magazingruppen haben einen Werbemarktanteil von 60 Prozent. Vor dem Kartellgericht rechnen sie diesen Marktanteil auf 17 Prozent herunter, wie sich aus dem späteren Kartellurteil zu Formil und einem Entwurf für einen Rekurs gegen die Entscheidung nachvollziehen lässt. Wie gelingt eine so gewagte Rechnung?
- Mitbewerber erfinden Die beiden Magazingruppen erfanden für ihre Darstellung konkurrierende Magazingruppen, die es nicht gab. Etwa eine ORF-Magazingruppe, zusammengepuzzelt aus Sendungsmarken, die der ORF an verschiedene Verlage lizenzierte. Nur eines von fünf Magazinen gab der ORF heraus, an einem war er beteiligt. Ein reiner Fachzeitschriftenverlag wurde ins General-Interest-Segment verlegt.
- Mitbewerber überschätzen Bei existierenden Mitbewerbern gaben die Fusionswilligen weit höhere Umsätze an, nach deren Auskunft etwa beim Doppelten der realen Einnahmen.
- Mal brutto, mal netto. Werbeumsätze der Mitbewerber gaben die Fusionswerber als Bruttozahlen laut Focus an – die Werbebeobachter rechnen nach offiziellem Tarif um und können übliche Rabatte und Sonderkonditionen nicht berücksichtigen, die bis zur Hälfte der Tarife oder darüber hinaus gehen können. Die eigenen Umsätze gaben sie netto an – also nach Abzug von Rabatten, Sonderkonditionen, Provisionen. Konkret: Focus kam bei der News-Gruppe auf 155 Millionen brutto, die gab ihre Umsätze vor Gericht mit fast 67 Millionen an. Bei den Kurier-Magazinen standen 60 Millionen brutto laut Focus angegebenen 23 Millionen gegenüber. Für die anderen Magazingruppen nannte man Bruttowerte.
- Deutsche Konkurrenz. Das Werbegewicht deutscher Magazine (die zudem teils dem damaligen News-Mutterkonzern Gruner+Jahr gehörten) in Österreich wollten die Fusionswilligen (großzügig überschätzt) eingerechnet wissen, um den Gesamtmarkt zu vergrößern und das eigene Gewicht zu verkleinern.
- Onlinewerbung als Magazinwerbung. Auch Onlinewerbung wollten sie in den Magazinwerbemarkt eingerechnet wissen.
Auch andere Behauptungen der Anmelder waren mathematisch gewagt wie: „Die Redaktion des Spiegel kostet nicht wesentlich mehr als die Redaktion des
Profil .“ Merke: Der Spiegel hatte damals 270 angestellte Redakteure plus 70 Dokumentaristen; Profil führte zu der Zeit im Impressum weniger als 35 Redakteure,
gut ein Dutzend Mitarbeiter und fünf „Autoren“.
Kartellurteil sieht klare Untersagungsgründe – und genehmigt
Am 26. Jänner 2001 ergeht ein sehr seltsames Urteil des Kartellgerichts. Es argumentiert auf 68 der 71 Seiten sehr schlüssig, warum der Zusammenschluss der Verlagsgruppe News mit der Magazingruppe des Kurier zu untersagen ist. Auf den letzten eineinhalb Seiten genehmigt das Gericht nach einer Leerzeile diese Fusion.
Im Kartellurteil heißt es etwa:
- Es sei unwahrscheinlich, dass Profil ohne Fusion eingestellt würde (wie die Magazingruppen argumentierten). Im Verfahren hätten sich drei andere Käufer für Profil gemeldet.
- Es brauche keine Fusion, um den ruinösen Preiskampf der Magazingruppen zu beenden, vielmehr „vernünftiges Verhalten“ dort.
- Selbst eine Einstellung von Profil würde die Chancen für neue Mitbewerber im Markt erhöhen, „also die Wettbewerbsbedingungen im kartellrechtlichen Sinne verbessern“.
- Im Anzeigenmarkt folgte das Kartellurteil der – kleingerechneten und falschen – Argumentation der Fusionswerber.
- Im Lesermarkt aber nicht, da war laut Kartellurteil klar: "Der Zusammenschluss bewirkt daher auf dem Lesermarkt selbst unter Berücksichtigung aller nur denkmöglichen Substitutionsbeziehungen eine Verstärkung einer schon bisher bestehenden marktbeherrschenden Stellung (48 Prozent auf 59 Prozent).“ Bereits eine „monopolartige Stellung auf dem Lesermarkt“ sei „ein ausreichender Untersagungsgrund“.
- „Äußerst bedrohlich ist aber eine Beherrschung des Lesermarktes im Zusammenhang mit dem Postulat des Erhaltes der Medien- beziehungsweise Meinungsvielfalt“, ein eigenes Kriterium im Medienkartellrecht.
- Mehrfach führt das Kartellurteil aus, dass Auflagen nichts brächten, insbesondere Auflagen für die Selbstständigkeit der Redaktion des Profil.
Kurz darauf, nach einer sonst zwischen Absätzen nicht gebräuchlichen Leerzeile, genehmigt das Kartellurteil auf den letzten Seiten die Fusion mit Auflagen für die Selbstständigkeit der Profil-Redaktion, die es kurz davor als sinnlos eingestuft hat.
Was ist da passiert?
Was im Kartellgericht besprochen wird, unterliegt dem Amtsgeheimnis. Das seltsame Kartellurteil und spätere Aussagen der Berufsrichterin deuten darauf hin:
Die Berufsrichterin ging mit der Absicht in die entscheidende Sitzung, die Fusion abzulehnen und hatte die Urteilsbegründung dafür bereits formuliert dabei.
Die von Wirtschafts- und Arbeiterkammer entsandten Laienrichter legten sich quer, die Richterin würde in der Minderheit bleiben. Daraufhin formuliert sie, wohl unter Protest, nur die letzten Seiten mit der Entscheidung um, oder die Laien übernehmen das gleich selbst. Die Begründung der Ablehnung mündet also mit einer Leerzeile in einer Genehmigung mit Auflagen: die Profil-Redaktionsgesellschaft bleibt beim Kurier, alle verlegerischen Aktivitäten auch dieses Magazins wandern aber mit den anderen Titeln in die News-Gruppe.
Der Justizminister legt sich quer
Es wird noch skurriler. Der damalige Justizminister Dieter Böhmdorfer, entsandt von der FPÖ, kündigt unmittelbar nach dem Urteil des Kartellgerichts Rekurs der Republik gegen das widersprüchliche Kartellurteil an. Ohne Rekurs gäbe es Rechtsunsicherheit, erklärt er öffentlich.
Die Finanzprokuratur des Bundes, quasi der Anwalt der Republik, arbeitet einen 35seitigen Rekurs aus, der penibel und schlüssig alle Tricks der Fusionswerber und sachlichen Fehleinschätzungen des Erstgerichts, etwa in Sachen Anzeigenmarktanteil, aber auch die Widersprüche im Kartellurteil aufzeigt (der Entwurf liegt mir vor).
Der Justizminister wird umgestimmt
Vier Wochen hat die Republik Zeit, einen solchen Rekurs einzubringen. Am letzten Tag dieser Frist erklärt derselbe Dieter Böhmdorfer: Er bringe keinen Rekurs ein, denn wenn er das täte, gäbe es Rechtsunsicherheit.
Das war doch vier Wochen zuvor aus demselben Mund noch genau umgekehrt. Was ist da passiert.
Der Fellner-Klon
Einerseits hat der damalige Wirtschaftsminister von der ÖVP schon öffentlich erklärt, dass es keinen Grund für einen Rekurs der Republik gebe.
Ein Schlüsselmoment für den 180-Grad-Sinneswandel des Justizministers aber ereignete sich einen Tag vor Ablauf der Rekursfrist-– und das ganz zufällig unter den Augen der Öffentlichkeit.
Der Ressortleiter Innenpolitik der Nachrichtenagentur APA wartet auf ein Interview mit Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) im Vorzimmer von deren Amtssitz im Palais Dietrichstein. Er sieht mit eigenen Augen aus ihrem Büro kommen: Magazinherausgeber Wolfgang Fellner und der damalige FPÖ-Klubchef Peter Westenthaler.
Am nächsten Tag wird Justizminister Böhmdorfer erklären, dass er von einem Rekurs absieht. Die Formil-Fusion ist damit genehmigt.
Fellner bestreitet gegenüber der APA, dass das Treffen, obwohl es einen Augenzeugen der APA gab und erklärt wörtlich: „Ich weiß nicht, ob ein Klon von mir unterwegs ist, aber in Wien schwirren derzeit Gerüchte der absurdesten Art herum.“
Riess-Passers Büro bestätigte der APA das Treffen, Riess-Passer selbst bestätigte mir einige Monate danach auch, dass es um die Formil-Fusion gegangen war. Und Böhmdorfer wird später in einem Interviewbuch der FH der WKW bestätigen, dass er gegen seine Überzeugung und auf Druck der Parteiführung auf einen Rekurs verzichtet hat.
Was zeigt die Formil-Fusion?
Die Formil-Fusion ist ein sehr anschauliches Sinnbild oder eher Sittenbild, welchen Druck einzelne Medienmacher in Österreich entwickeln können, wie sie es mit der Wahrheit halten, und wie willfährig Regierungspolitik und Sozialpartner nach ihrer Pfeife tanzen.
Dieses Sittenbild hat auch Jahrzehnte nach der Fusion viel Aussagekraft. Auch wenn die News-Gruppe, auch unter der Konkurrenz der Fellners mit Österreich/Oe24, deutlich an Größe verloren hat. Sie ist weiter Marktbeherrscherin, aber in einem Magazinmarkt, der wie sie stark an publizistischem Gewicht verloren hat. Auch wenn der Kurier seine Beteiligung an der VGN-Gruppe mit einem Kunstgriff des neuen Mehrheitseigentümers Horst Pirker verloren hat. Und auch wenn Profil, das im Formil-Deal als politisches Nachrichtenmagazin eine Schlüsselrolle spielte, ebenfalls an Bedeutung verloren hat und 2019 auch wirtschaftlich nicht mehr der VGN, sondern wieder dem Kurier gehört.
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Was zeigt die Formil-Fusion?
Die Formil-Fusion ist ein sehr anschauliches Sinnbild oder eher Sittenbild, welchen Druck einzelne Medienmacher in Österreich entwickeln können, wie sie es mit der Wahrheit halten, und wie willfährig Regierungspolitik und Sozialpartner nach ihrer Pfeife tanzen.
Dieses Sittenbild hat auch Jahrzehnte nach der Fusion viel Aussagekraft. Auch wenn die News-Gruppe, auch unter der Konkurrenz der Fellners mit Österreich/Oe24, deutlich an Größe verloren hat. Sie ist weiter Marktbeherrscherin, aber in einem Magazinmarkt, der wie sie stark an publizistischem Gewicht verloren hat. Auch wenn der Kurier seine Beteiligung an der VGN-Gruppe mit einem Kunstgriff des neuen Mehrheitseigentümers Horst Pirker verloren hat. Und auch wenn Profil, das im Formil-Deal als politisches Nachrichtenmagazin eine Schlüsselrolle spielte, ebenfalls an Bedeutung verloren hat und 2019 auch wirtschaftlich nicht mehr der VGN, sondern wieder dem Kurier gehört.
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