Die Medien und der Amoklauf in Graz
Am 10. Juni 2025 werden bei einem geplanten Amoklauf in einer Grazer Schule zehn Menschen getötet, der Täter begeht Suizid.
Wie Medien damit umgehen, sorgt für intensive medienethische Diskussionen, hohe zweistellige Beschwerden beim Presserat und auch zumindest eine Sachverhaltsdarstellung bei der Medienbehörde KommAustria.
- Der extrem rechte Verschwörungssender Auf 1 postet etwa auf X Videos aus der Schule von der Evakuierung von Schüler:innen mit dramatischer Musik unterlegt, von – mutmaßlich – Opfern auf Rolltragen, aus einem Klassenzimmer mit hörbaren Schüssen. Das Portal berichtet vom Anruf einer weinenden Schülerin zur Situation.
- Krone.at und oe24.at zeigen ebenfalls das Video von der Evakuierung, oe24 bindet zeitweilig zumindest einen Post von Auf 1 ein.
- Profil.at sorgt für intensive Diskussionen. Zwei Journalisten fahren am Tag des Amoklaufs nach Graz, sprechen mit Nachbarn und versuchen auch mit der Mutter zu reden. "Daheim beim Attentäter" betitelt das Magazin die Onlinestory am selben Abend. Bei Profil wird man darauf verweisen: Auch andere Medien wie der ORF zeigen vorübergehend das Wohnhaus, redet auch mit Schüler:innen; auch andere Medien wie der Standard berichten an den folgenden Tagen aus dem Grazer Vorort, wo der Amokläufer wohnte. Vom Andrang der Reporter:innen, von Nachbarn.
- Kronen Zeitung und Oe24 (Titelseite) zeigen bald erste Porträtfotos des Amokläufers. Psycholog:innen appellieren an Medien, möglichst wenig über den Täter zu berichten, möglichst wenig Identifikationspotenzial zu liefern.
- Die Polizei ersucht Medien, über Nachahmungstäter möglichst nicht zu berichten. Heute berichtet auch hier per Pushnachricht von Drohungen gegen andere Schulen.
Der Presserat befasst sich Anfang Juli mit den Beschwerden über die Berichterstattung zum Amoklauf von Graz. Er sah in Bildern und Videos vom Anschlag in Wien vom 2. November 2020 in Wien in mehreren Medien den Ehrenkodex der österreichischen Presse verletzt, Entscheidungen etwa hier, hier, hier und hier (PDF-Links).
Die Medienbehörde KommAustria hat ihre Erfahrungen in der Beurteilung von Berichten über Attentate. Sie und das Bundesverwaltungsgericht sahen in Videos bei Servus TV und Oe24.TV vom tödlichen Terroranschlag am 2. November 2020 Gesetzesverstöße, Menschenwürde sei teilweise missachtet worden, journalistische Sorgfalt verletzt. Der Verfassungsgerichtshof hob die Entscheidung zu Servus TV auf, das öffentliche Informationsinteresse habe überwogen.
Medienminister Andreas Babler kündigt Mitte Juni 2025 an, er wolle mit Expert:innen Maßnahmen gegen Sensationslust auf Kosten der Würde von Betroffenen und gegen Kommerzialisierung von Leid erarbeiten. Möglich wären zusätzliche Kriterien für Medienförderungen oder "Nachschärfungen" für Videoplattformen, er nennt hier Auf 1.
Yilmaz Gülüm, Report-Redakteur im ORF und einer der Köpfe des Medienwatchblogs Kobuk, beschreibt die Problematik für mich sehr nüchtern und treffend: "In einer Situation wie in Graz ist es gar nicht so trivial, medienethisch immer den richtigen Kompass zu haben. Das entwickelt eine Sogwirkung, jedes Medium möchte noch Exklusiveres haben. Da tun wir uns leichter als tagesaktuelle Formate, nachzudenken und zu diskutieren, was man tut und was nicht."
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