Presserat: Selbstkontrollorgan der Branche für Medienethik
Inhalt
Dieses Thema ist auch relevant für:
Warum ist das wichtig?
- Der Österreichische Presserat ist ein freiwilliges Selbstkontrollorgan, er beurteilt nach medienethischen Vorgaben des Ehrenkodex der österreichischen Presse.
- Beschwerden vor dem Presserat sind einfacher und niederschwelliger als Verfahren vor ordentlichen Gerichten etwa nach dem Medienrecht.
- Der Ehrenkodex hat über weite Strecken ähnliche Vorgaben wie das Medienrecht – etwa über Schutz von Persönlichkeit und Intimsphäre, Trennung von Redaktion und Verlag, Kennzeichnung von Werbung.
- Wer den Presserat und den Ehrenkodex anerkennt, muss Entscheidungen über das eigene Medium veröffentlichen. Das ist die einzige Sanktionsmöglichkeit des Gremiums.
- Den Presserat anerkennen Österreichs Tageszeitungen und viele weitere Titel bis auf die Kronen Zeitung. (Stand: April 2025)
- Onlinemedien von Verlagen werden ebenfalls beurteilt. Nicht zuständig ist der Presserat für TV, Radio, andere Onlinemedien – für die gibt es bisher kein vergleichbares Selbstkontrollorgan.
- Die meisten Verstöße stellte der Presserat seit seiner Wiedergründung 2011 bei Kronen Zeitung und Österreich/Oe24 fest. Ich liste in diesem Beitrag und in jenen über diese Medien vorerst jeweils kurz die Verstöße dieser beiden Medienmarken seit 2019. Heute liegt in der Wertung seit 2011 auf Platz 3. Auch bei vielen anderen Medien, darunter auch Standard, Presse, Falter, Kurier, stellte der Presserat schon Verstöße fest.
- In diesem Beitrag findest du Charts über die Verstöße und Hinweise des Presserats seit 2011.
Was regelt der freiwillige "Ehrenkodex" der österreichischen Presse?
Mit "Grundsätze für die journalistische Arbeit" ist der Ehrenkodex betitelt, er soll die "journalistische Berufsethik wahren", als "freiwillige Selbstbeschränkung" der journalistischen Freiheit entlang der nicht immer ganz klar zu ziehenden Grenzen dieser Ethik.
Was gibt er vor? Grob zusammengefasst und nummeriert nach den Punkten des Ehrenkodex:
- Der Punkt widmet sich der journalistischen Freiheit und ihren ethischen Grenzen laut Kodex.
- Genaue, gewissenhafte, korrekte Recherche und Darstellung. Anonyme Zitierung ist zu vermeiden. Betroffene sind mit Beschuldigungen zu konfrontieren und Stellungnahmen einzuholen; Fehler umgehend richtigzustellen, neue Entwicklungen über Berichtetes (etwa in Verfahren) umgehend zu berichten.
- Unterscheidbarkeit von Nachricht, Kommentar und Fremdmeinung; Fotomontagen und vergleichbare Bildbearbeitung sind als solche zu kennzeichnen.
- Einflussnahme auf redaktionelle Inhalte ist nicht zulässig – weder im Sinne wirtschaftlicher Interessen des Unternehmens noch persönlicher Vorteile von Journalist:innen. In Reiseberichten sind Einladungen auszuweisen.
- Persönlichkeitsschutz vor Identifizierung (etwa bei Gefährdung, bei mutmaßlichen Tätern oder Opfern) und vor Diffamierung.
- Schutz der Intimsphäre, insbesondere bei Kindern.
- Schutz vor pauschaler Verdächtigung, Verunglimpfung und Diskriminierung
- Keine unlauteren Methoden bei der Materialbeschaffung; verdeckte Recherche bei besonderem öffentlichem Interesse möglich.
- Reise-, Tourismus-, Auto- und Gastronomieberichte nach nachvollziehbaren Kriterien. Reiseberichte sollen auch soziale und politische Situation im Reiseland erwähnen.
- Öffentliches Interesse ist fallweise gegenüber persönlichen Interessen abzuwägen.
- Medienmitarbeiter:innen dürfen beruflich erlangte Informationen nur für publizistische Zwecke und nicht zum eigenen Vorteil nutzen. Ihre privaten und geschäftlichen Interessen dürfen keinen Einfluss auf ihre publizistische Tätigkeit haben.
- Über Suizide sollen Medien mit "großer Zurückhaltung" berichten, um nicht zur Nachahmung anzuregen.
Wer entscheidet beim Presserat?
Journalist:innen und Jurist:innen befinden in drei Senaten nach Beschwerden von Betroffenen oder Hinweisen, ob Medien in bestimmten Fällen nach dem Mehrheitsbefund des befassten Senates gegen den Ehrenkodex verstoßen haben.
Die Senatsmitglieder findest du hier.
Wer betreibt den Presserat?
Trägerorganisationen des Presserats sind der Zeitungsverband VÖZ, der Zeitschriftenverband ÖZV, der Verband der Regionalmedien VRM, die Journalist:innengewerkschaft, der Verein der Chefredakteure und der Presseclub Concordia.
Geschäftsführer ist der Jurist Alexander Warzilek.
Wer finanziert den Presserat?
Der Presserat erhält eine Förderung des Bundes, bis 2023 150.000 Euro pro Jahr aus der Presseförderung; ab 2024 aus der sogenannten Qualitätsjournalismusförderung 230.000 Euro.
Die Verstöße und Hinweise des Presserats seit 2011
Wie oft hat welches Medium nach Ansicht des Presserats gegen den Ehrenkodex für die Österreichische Presse verstoßen, seit das Selbstkontrollorgan 2011 seinen Betrieb wieder aufgenommen hat?
Die Verstöße (hier inklusive Hinweise an das Medium bei geringfügigeren Verstößen) pro Jahr seit 2011 im Überblick:
Die Stammkunden des Presserats: Krone, Österreich/Oe24 und die Fälle
Die meisten Verstöße von 2011 bis 2023 stellte der Presserat bei der Kronen Zeitung und Österreich fest.
Ich habe hier auf <span class="dmmark">diemedien.</span> vorerst die Fälle über die beiden Medienmarken mit den meisten Verstößen seit 2011 zusammengefasst – Krone und Österreich/Oe24.
Der Presserat hat seit seiner Wiedergründung 2011 auch einzelne Verstöße etwa be, Standard, dem Falter, der Presse und dem Kurier festgestellt.
Alle Entscheidungen des Presserats sind hier abzurufen.
{{kronepresserat="/components-library"}}
{{oe24presserat="/components-library"}}
Von Hans Dichand gesprengt – die Vorgeschichte
Zwischen Weihnachten und Silvester 2001 kündigt der Zeitungsverband VÖZ seine Teilnahme am alten Presserat mit 26. Jänner 2002 auf.
Dem Herausgeber der Kronen Zeitung, Hans Dichand, war das Selbstkontrollorgan schon lange ein Dorn im Auge, das immer wieder Verstöße des damals noch viel größeren und viel ungenierter agierenden Boulevardriesen gegen den Ehrenkodex feststellte.
Die Vorschläge des Zeitungsverbandes für eine Neugestaltung klangen etwa dem Presserats-Partner Journalist:innengewerkschaft 2002 stark nach Dichands Ideen für einen anderen Presserat. Jurist:innen sollten etwa die bisher allein aus Journalist:innen bestehenden Senate verstärken.
Das Modell wird schließlich nach langen, zähen Verhandlungen in einem neuen Presserat in etwa umgesetzt, der 2011 seine Tätigkeit wieder aufnimmt. Jedenfalls bis April 2025 erkennt die Kronen Zeitung das Selbstkontrollorgan aber nicht an.
Hör' dir den Artikel an
Teil 2
Teil 3
Updates
Am 10. Juni 2025 werden bei einem geplanten Amoklauf in einer Grazer Schule zehn Menschen getötet, der Täter begeht Suizid.
Wie Medien damit umgehen, sorgt für intensive medienethische Diskussionen, hohe zweistellige Beschwerden beim Presserat und auch zumindest eine Sachverhaltsdarstellung bei der Medienbehörde KommAustria.
- Der extrem rechte Verschwörungssender Auf 1 postet etwa auf X Videos aus der Schule von der Evakuierung von Schüler:innen mit dramatischer Musik unterlegt, von – mutmaßlich – Opfern auf Rolltragen, aus einem Klassenzimmer mit hörbaren Schüssen. Das Portal berichtet vom Anruf einer weinenden Schülerin zur Situation.
- Krone.at und oe24.at zeigen ebenfalls das Video von der Evakuierung, oe24 bindet zeitweilig zumindest einen Post von Auf 1.
- Profil.at sorgt für intensive Diskussionen. Zwei Journalisten fahren am Tag des Amoklaufs nach Graz, sprechen mit Nachbarn und versuchen auch mit der Mutter zu reden. "Daheim beim Attentäter" betitelt das Magazin die Onlinestory am selben Abend. Bei Profil wird man darauf verweisen: Auch andere Medien wie der ORF zeigen vorübergehend das Wohnhaus, redet auch mit Schüler:innen; auch andere Medien wie der Standard berichten an den folgenden Tagen aus dem Grazer Vorort, wo der Amokläufer wohnte. Vom Andrang der Reporter:innen, von Nachbarn.
- Kronen Zeitung und Oe24 (Titelseite) zeigen bald erste Porträtfotos des Amokläufers. Psycholog:innen appellieren an Medien, möglichst wenig über den Täter zu berichten, möglichst wenig Identifikationspotenzial zu liefern.
- Die Polizei ersucht Medien, über Nachahmungstäter möglichst nicht zu berichten. Heute berichtet auch hier per Pushnachricht von Drohungen gegen andere Schulen.
Der Presserat befasst sich Anfang Juli mit den Beschwerden über die Berichterstattung zum Amoklauf von Graz. Er sah in Bildern und Videos vom Anschlag in Wien vom 2. November 2020 in Wien in mehreren Medien den Ehrenkodex der österreichischen Presse verletzt, Entscheidungen etwa hier, hier, hier und hier (PDF-Links).
Die Medienbehörde KommAustria hat ihre Erfahrungen in der Beurteilung von Berichten über Attentate. Sie und das Bundesverwaltungsgericht sahen in Videos bei Servus TV und Oe24.TV vom tödlichen Terroranschlag am 2. November 2020 Gesetzesverstöße, Menschenwürde sei teilweise missachtet worden, journalistische Sorgfalt verletzt. Der Verfassungsgerichtshof hob die Entscheidung zu Servus TV auf, das öffentliche Informationsinteresse habe überwogen.
Yilmaz Gülüm, Report-Redakteur im ORF und einer der Köpfe des Medienwatchblogs Kobuk, beschreibt die Problematik für mich sehr nüchtern und treffend: "In einer Situation wie in Graz ist es gar nicht so trivial, medienethisch immer den richtigen Kompass zu haben. Das entwickelt eine Sogwirkung, jedes Medium möchte noch Exklusiveres haben. Da tun wir uns leichter als tagesaktuelle Formate, nachzudenken und zu diskutieren, was man tut und was nicht."
Timelines
Hast du noch Fragen? Fehlt etwas? Du hast Fehler gefunden? Du siehst das anders? Bitte lass mich das wissen, damit ich möglichst rasch korrigieren, ergänzen, ändern kann.
Höre dir den Artikel an:
Letzte Updates
Hast du noch Fragen? Fehlt etwas? Du hast Fehler gefunden? Du siehst das anders? Bitte lass mich das wissen, damit ich möglichst rasch korrigieren, ergänzen oder ändern kann.
Ich will Medienwissen für alle unterstützen!
Du kannst die Wissensplattform diemedien. unterstützen ...
- ... mit einer einmaligen Spende.
- ... als Supporter – du hast damit selbst noch mehr von diemedien.
- ... als Company-Supporter, Organisation-Supporter oder Sponsor – mit Specials für dein Team.