ORF-Stiftungsrat: Das oberste Entscheidungsorgan im ORF
Inhalt
Dieses Thema ist auch relevant für:
Warum ist das wichtig?
- Der ORF-Stiftungsrat ist das oberste Entscheidungsgremium im ORF.
- Der ORF ist Österreichs weitaus größter Medienkonzern, großteils öffentlich über den ORF-Beitrag finanziert.
- Der Stiftungsrat bestimmt regulär alle fünf Jahre mit einfacher Mehrheit ORF-Generaldirektor:in und Direktor:innen in der Zentrale und den Landesstudios. Den ORF-Chef oder die ORF-Chefin kann er mit Zweidrittelmehrheit abberufen.
- Er muss jährliche Budgets und mittelfristige Finanzpläne des ORF beschließen sowie jährlich Programmschemata für die ORF-Medien.
- Die Stiftungsräte treffen grundlegende unternehmerische Entscheidungen. Dazu gehörte etwa das 303 Millionen Euro teure Bau- und Sanierungsprojekt ORF-Zentrum.
- Die Räte entscheiden über die Höhe des ORF-Beitrags (frühestens 2027 das nächste Mal). Der ORF-Publikumsrat, ein zweites ORF-Aufsichtsgremium, kann sie nur verzögern. Die Medienbehörde KommAustria prüft solche Gebührenbeschlüsse.
- Die Mehrheit der Mandate bestimmen politische Institutionen – Bundesregierung, Bundesländer, Parteien im Nationalrat und der großteils vom Bundeskanzleramt besetzte ORF-Publikumsrat. Auch der Zentralbetriebsrat des ORF entsendet Mitglieder, auch er ist nicht ganz politikfern.
- Reguläre Amtszeit: vier Jahre. Spätestens im Frühjahr 2026 sind Stiftungsrat und Publikumsrat regulär neu zu besetzen.
- Der Verfassungsgerichtshof hat 2023 Teile der Besetzung des Stiftungsrats und des Publikumsrats als zu regierungsnah aufgehoben, bis Ende März 2025 verlangt er eine Reparatur. Ohne Novelle bleiben die Stiftungsräte in der Besetzung von März 2025 im Amt.
- Eine neue Regierung kann noch neun Mandate vor März 2025 nach altem Modus besetzen, auch die Parteien im Nationalrat können nach der Wahl am 29. September 2024 noch einwechseln.
Kontext: ORF
Das Wichtigste zum ORF findest du im Stichwort ORF: Österreichs weitaus größter, öffentlich-rechtlicher Medienkonzern
Die Mehrheitsverhältnisse im Stiftungsrat 2024
Die Kanzlerpartei ÖVP hat, dank sechs schwarzen Landeshauptleuten und dank des deutlichen Größenunterschieds gegenüber Regierungspartner Grüne, seit 2021 alleine eine Mehrheit im Stiftungsrat, die 2021 schon gereicht hätte, um die ORF-Führung um Roland Weißmann alleine zu bestimmen. Regierungspartner Grüne, Betriebsräte und Norbert Steger (FPÖ, gegen Parteilinie) stimmten ebenfalls für Weißmann.
Wie unabhängig oder politiknahe ist der Stiftungsrat?
Weisungsfrei. Die Mitglieder des Stiftungsrats sind laut Gesetz weisungsfrei und unabhängig in ihrer Tätigkeit im obersten ORF-Entscheidungsgremium. Sie sind vom Gesetz den (insbesondere wirtschaftlichen) Interessen des ORF verpflichtet. Sie haften für ihre Entscheidungen ähnlich Aufsichtsräten in Aktiengesellschaften.
Politikerklausel. Aktive Politiker, teils bis zu vier Jahre nach Ablauf ihres Mandats, Parteiangestellte, Klubmitarbeiter:innen dürfen nicht Mitglied des Stiftungsrats (oder des Publikumsrats oder des ORF-Managements) werden. Auch Mitarbeiter:innen anderer Medienunternehmen sind laut ORF-Gesetz ausgeschlossen. Seit der Politiker:innenklausel ab 2001 sitzen nicht mehr wie im Vorläufergremium ORF-Kuratorium aktive Politiker wie Klubobleute, Mediensprecher, Landeshauptleute, Parteisekretäre und Kanzlerpressesprecher in dem Gremium. Sondern etwa Kommunikationsberater und ehemalige Parteimanager.
Entscheidungen im Stiftungsrat fallen, wohl auch aufgrund der Verpflichtung gegenüber dem Unternehmenswohl, häufig mit großer Mehrheit.
Die Bestellung von ORF-Generaldirektor:innen offenbart meist die Politiknähe des Gremiums. Hier wird in den meisten Fällen sehr exakt entlang von Fraktionsgrenzen abgestimmt. Über die Bestellung von ORF-General Roland Weißmann und seinem Direktorium 2021 gab es einen Sideletter zum Koalitionsabkommen zwischen ÖVP und Grünen aus 2020. Auch ÖVP und FPÖ davor machten sich die Besetzung des Stiftungsrats und von ORF-Jobs per Sideletter aus.
Parteipolitische Fraktionen im Stiftungsrat? Ja, die gibt es seit Jahrzehnten. Sie werden etwas verschämt Freundeskreise genannt und besprechen Sitzungen des Stiftungsrats meist vor, insbesondere die Bestellung von Generaldirektor:innen und Direktor:innen. Zeitweise gab es auch einen "Freundeskreis" der Länder-Stiftungsräte über Parteigrenzen hinweg.
Kaum abzuberufen. Nach dem Buchstaben des Gesetzes sind Stiftungsräte nur dann vor Ablauf der vier Jahre Funktionsperiode auch gegen ihren Willen absetzbar, wenn sich das entsendende Organ etwa nach Wahlen ändert (die Möglichkeit muss laut Verfassungsgerichtshof für die Bundesregierung, die Landesregierungen und den Publikumsrat künftig entfallen). Oder wenn erst nach ihrer Bestellung Unvereinbarkeiten mit der Funktion (politische Mandate oder Parteijobs, Jobs bei anderen Medien) bekannt werden. Oder wenn sie dreimal unentschuldigt den Sitzungen fern bleiben. Einzelne Medienrechtler leiten daraus ab, dass sie auch bei unternehmensschädigendem Verhalten mit Mehrheit im Stiftungsrat absetzbar wären; die Position ist allerdings umstritten.
- Juristische Argumente für und wider Abberufungsmöglichkeit habe ich hier für den Standard zusammengetragen. Anlass war im Frühjahr 2024 die Diskussion über das Funktionsverständnis von Peter Westenthaler als Stiftungsrat, entsandt von der FPÖ.
Wer besetzt den Stiftungsrat?
Wer bestimmt über die bisher 35 Mandate im Stiftungsrat? Der Stand 2024, bevor das ORF-Gesetz nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs (unten) geändert wird:
- Die Bundesregierung entsendet 9 ORF-Stiftungsräte.
Stand 2024: 7 sind der ÖVP zuzuordnen, 2 den Grünen. - Die Landesregierungen entsenden jeweils ein Mitglied, also insgesamt ebenfalls 9.
6 ÖVP, 1 SPÖ, 1 Kärntner und 1 Burgenländer (beide mit SPÖ-Landeshauptmann). - Die Parteien im Nationalrat mit Klubstärke entsenden 6 Mitglieder. Bei weniger Fraktionen nach dem d'Hondtschen Verfahren die größte(n) zwei.
2 ÖVP, 1 SPÖ, 1 FPÖ, 1 Grüne, 1 Neos. - Der ORF-Publikumsrat entsendet 6 Stiftungsräte. Die Mehrheit im Publikumsrat (17 von 30) sucht das Kanzleramt aus.
3 ÖVP, 3 Grüne. - Der ORF-Zentralbetriebsrat hat fünf Mandate.
2 Sozialdemokraten, 2 eher ÖVP-nahe, 1 eher links unabhängig.
Was findet der Verfassungsgerichtshof verfassungswidrig?
Der Verfassungsgerichtshof hob am 5. Oktober 2023 mit Wirkung vom 31. März 2025 Teile des ORF-Gesetzes über die Bestellung von Stiftungsrat und Publikumsrat als verfassungswidrig auf. Was bemängelten die Höchstrichter? Ein rascher Überblick:
Stiftungsrat
- Die (staatliche) Bundesregierung darf nicht mehr Stiftungsräte entsenden als der (nicht staatliche) Publikumsrat. Nahe liegende Lösung: Auch der Publikumsrat entsendet 9 Stiftungsräte und der Stiftungsrat wird damit noch größer.
- Das Gesetz muss der Bundesregierung und dem Publikumsrat konkrete(re) Auswahlkriterien wie unterschiedliche fachliche Qualifikationen für die Bestellung ihrer Stiftungsräten vorgeben, im Sinne der vom Bundesverfassungsgesetz Rundfunk verlangten Vielfalt in den ORF-Gremien.
- Bundesregierung, Landesregierungen und Publikumsrat dürfen ihre ORF-Stiftungsräte nicht vorzeitig einwechseln, wenn sich ihre eigene Zusammensetzung ändert, also etwa nach Nationalrats- oder Landtagswahlen eine neue Regierung angelobt wird. Parteien im Nationalrat und ORF-Zentralbetriebsrat könnten weiterhin vorzeitig abberufen, findet das Höchstgericht.
Publikumsrat
- Verfassungswidrig ist, dass Bundeskanzler oder Medienministerin mehr Mitglieder für denPublikumsrat (nämlich 17) auswählen können als gesetzlich festgelegte Institutionen wie Kammern, Gewerkschaften, katholische und evangelische Kirche, Akademie der Wissenschaften sowie Parteiakademien direkt entsenden (derzeit 13). Die Verfassungsrichter verlangen dasselbe Ausmaß.
- Dem Höchstgericht fehlen – wie bei den Stiftungsräten der Bundesregierung und des Publikumsrats – Auswahlkriterien im Gesetz, etwa persönliche und fachliche Anforderungen, nach denen Kanzler oder Medienministerin Publikumsräte aus Vorschlägen gesellschaftlicher Organisationen auswählen, um für Vielfalt zu sorgen.
Dass politische Parteien über die direkte Nominierung ihrer Parteiakademien auch je ein Mitglied im Publikumsrat bestimmen, bemängelten die Verfassungsrichter nicht. Sie müssen sich aber am Prüfantrag (hier: der burgenländischen Landesregierung) orientieren.
- Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung, Link zum Erkenntnis
- Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer analysiert die Entscheidung und ihre Folgen hier und hier (Finanzierungsgarantie, Existenzgarantie ORF) ausführlich in seinem Blog.
Was kann nach der Aufhebung durch das Höchstgericht passieren?
Die Koalitionsparteien ÖVP und Grüne einigen sich vor der Nationalratswahl nicht über eine Novelle zum ORF-Gesetz – auch wenn sie mit einer Novelle die Stiftungsräte von Bundesregierung, Landesregierungen und Publikumsrat damit für vier Jahre unabhängig von Wahlen fixieren könnten (so eine neue Regierung kein weiteres neues ORF-Gesetz beschließt und das ändert).
Entwürfe im Kabinett von Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) deuteten eher darauf hin, dass nach Vorstellung der ÖVP politisch passende Institutionen direkt in den Publikumsrat entsenden sollten, ob nun sonderlich repräsentativ oder nicht. Eine der Ideen, von der ich hörte: der oder die Vorsitzende der Konferenz des Dachverbands der Sozialversicherungsträger. Dachverbände gemeinnütziger Organisationen wie der Freiwilligen Feuerwehr sollen nicht so gut angekommen sein.
Was passiert, wenn nichts passiert?
Was passiert, wenn sich die aktuelle oder eine künftige Koalition nicht rechtzeitig bis 31. März 2025 auf eine Novelle zum ORF-Gesetz einigen, die die ORF-Gremien nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs entspricht?
Die ORF-Gremien bleiben in am 31. März 2025 aktueller Besetzung im Amt, bis ihre reguläre Funktionsperiode im Frühjahr 2026 ausläuft.
Aber: Bis 31. März 2025 können die Parteien nach den neuen Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat ihre sechs Vertreter neu entsenden. Und eine neue Bundesregierung kann bis 31. März 2025 noch rasch die neun Regierungs-Stiftungsräte nach den bisherigen Gesetzesbestimmungen austauschen.
Wenn es bis zum Ende der regulären Funktionsperiode der ORF-Gremien im Frühjahr 2026 keine Novelle gibt und die jedenfalls noch berechtigten Institutionen nicht neu bestellen, bleiben die bestehenden ORF-Gremien auch noch bis zu einer Neubestellung im Amt.
Das ist zu dem Zeitpunkt gerade besonders spannend: Im Sommer 2026 steht die Bestellung der ORF-Führung ab 2027 im Stiftungsrat an, sechs Monate vor Ablauf der aktuellen Funktionsperiode ist laut Gesetz der Job des/der ORF-Generaldirektor:in auszuschreiben.
Was passiert, wenn 2025 doch ein neues ORF-Gesetz kommt?
Neue ORF-Gesetze mit neuen Bestimmungen über ORF-Gremien haben schon zweimal die Funktionsperiode von ORF-Gremien und auch gleich der ORF-Führung beendet: 1974 verkürzte die SPÖ-Alleinregierung die Amtszeit von Gerd Bacher als ORF-General, 2001 die erste ÖVP/FPÖ-Koalition jene von ORF-General Gerhard Weis.
Ein neues ORF-Gesetz 2025 mit neuen Bestimmungen für die Gremien, wie vom Verfassungsgerichtshof verlangt, könnte je nach Regierungskonstellation die Amtszeit von ORF-General Roland Weißmann und/oder seines Direktoriums verkürzen. Die Verträge sehen allerdings vor, dass die ORF-Führung über die volle Funktionsperiode auszuzahlen ist. Eine Ablöse wird bei 380.000 Euro Grundgehalt und mehr als 400.000 mit Bonuszahlungen für den ORF-General doch etwas teuer.
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Was bekommen Stiftungsräte bezahlt?
Die Mitgliedschaft im Stiftungsrat ist ein unbezahltes Ehrenamt. Stiftungsräte erhalten 50 Euro monatlich Aufwandspauschale und 100 Euro Sitzungsgeld. Der Stiftungsrat tagt regulär meist viermal pro Jahr im März, Juni, September und November/Dezember. Eine Sitzungswoche geht meist vom Finanzausschuss (Montag) über den Programmausschuss (Mittwoch) bis zum Plenum (Donnerstag), mit jeweils mehrstündigen Sitzungen.
Die Mitglieder des Stiftungsrats
Vorerst hier die ORF-Übersicht ohne parteipolitische Zuordnungen.
Die Fraktionschefs
- Thomas Zach – ÖVP (Unternehmensberater)
- Sigrid Pilz – Grüne (ehemalige Patientenanwältin Wien)
- Heinz Lederer – SPÖ (Kommunikationsberater)
FPÖ und Neos haben 2024 nur je ein Mitglied: Peter Westenthaler (FPÖ, Immobilienunternehmer), Anita Zielina (Neos, Medienberaterin).
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